Es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen Wellen und der Einführung neuer Geschäftsmodelle. Anhand der Wellen-Analogie lassen sich Geschäftsmodell-Innovationen somit sehr anschaulich erklären: Angenommen, Ihr Unternehmen wäre ein Surfer, dann ...
... wäre die Wahl des Urlaubslandes die Vision Ihres Unternehmens: Auf welchem geographischen Markt und in welcher Industrie wollen Sie erfolgreich sein? Was für ein Unternehmen wollen Sie sein – Kategorie Rucksacktourist oder mit Suite im Luxushotel?
... wäre die Wahl des Surfstrandes („Wo sind die Wellen gut?“) und des Surfbretts vergleichbar mit der Strategie und Taktik im Wettbewerbsumfeld: Welche Zielgruppen wollen Sie adressieren, und mit welchen Produkten? Wo gibt es wenige andere gute Surfer, die Ihnen die Wellen streitig machen?
Ein innovatives Unternehmen ist also nicht nur in der Lage, die Welle souverän zu reiten. Wie ein erfahrener Surfer würde es vielversprechende Wellen auch frühzeitig erkennen und zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein: Die Welle ist dann steil genug um aufzustehen und bietet genug Zeit sie zu reiten, bevor die Welle bricht.
Der Kern der Wellen-Analogie bezieht sich auch tatsächlich auf die Form der „Geschäftsmodell-Welle“, ihrem Querschnitt. Wir unterscheiden hierfür zwei Dimensionen: 1) Die Höhe der Welle – Konvergenz und Divergenz und 2) Die Substanz der Welle – Kreativität/Intuition und Reflektion/Analyse. Die Welle selbst ergibt sich aus der richtigen Mischung dieser zwei Dimensionen über den Innovationsprozess hinweg. Wir unterteilen den Innovationsprozess in sechs Phasen, die durch ihr individuelles Profil zusammen die Wellenform ergeben (siehe Abbildung). Eine Abweichung vom Ideal führt zu mehr oder weniger großen Problemen bei der Transformation oder Einführung von Geschäftsmodellen.
Die Höhe der Welle – Konvergenz und Divergenz
Insbesondere im Vorfeld und zu Beginn einer Geschäftsmodell-Transformation ist es notwendig, alte Gewissheiten und Praktiken zu hinterfragen. Wir nennen dies „Divergenz“. Allerdings ist es auch notwendig, dass sich die Unternehmensführung ab einem gewissen Punkt auf die neuen Prioritäten und ein gemeinsames Vorgehen einigt – dass sie an einem Strang ziehen. Dennoch ist es wichtig, auch kritische Stimmen zu hören und die eigenen Annahmen kontinuierlich zu hinterfragen. Denn: selbst das erfolgreichste Geschäftsmodell wird irgendwann an einen Punkt kommen, wo es durch etwas Neues ersetzt werden muss.
Die Substanz der Welle – Kreativität/Intuition und Reflektion/Analyse
Normalerweise sind erfolgreiche Geschäftsmodelle stets das Ergebnis einer Kombination aus Herz und Verstand. Um die Bedürfnisse der Kunden wirklich zu befriedigen, muss man diesen erst verstehen, und zwar auch auf einer emotionalen Ebene. Anschließend ist Kreativität notwendig, um eine gute Lösung zu finden – sowie eine saubere Faktenbasis und Analysen um deren wirtschaftliche Tragfähigkeit sicherzustellen. Verlässt sich ein Unternehmen zu sehr auf das Bauchgefühl seiner Entscheider, oder entwickelt es ein „vernünftiges“ aber uninspiriertes Konzept, dann fehlt dem Geschäftsmodell letztlich oft die Substanz für den Erfolg.
In Phase 1 geht es darum, Chancen statt nur Risiken in einem unsicheren Marktumfeld zu erkennen, wichtige Markttrends zu identifizieren und Offenheit gegenüber weitreichenden Veränderungen zu entwickeln. Eine gemeinsame Vision für die Zukunft des Unternehmens ist das Resultat.
Phase 2 basiert auf der Fähigkeit des Unternehmens, eine große Zahl an unterschiedlichen, hochwertigen Ideen zu generieren. Dies schließt sowohl inkrementelle als auch radikale Ideen mit ein; Ideen für Produkte, Prozesse oder Geschäftsmodelle als Ganzes.
In Phase 3 werden die generierten Ideen kombiniert, verbessert und in tragfähige Geschäftsmodell-Konzepte übersetzt. Diese Konzepte müssen dann validiert werden (z.B. anhand von Prototypen). Sie müssen hierbei echte Kundenbedürfnisse adressieren, sowie technisch machbar und wirtschaftlich sein. Aufgrund der potenziell hohen Kosten von Innovationsvorhaben ist eine effektive Priorisierung von Ideen in dieser Phase essenziell.
In Phase 4 geht es darum, wie das neue Geschäftsmodell in die Realität umgesetzt werden kann. Je nach Geschäftsmodell erfordert dies eine mehr oder weniger umfangreiche Vorbereitungs- und Planungsphase: Welche Ressourcen wann und wo zur Verfügung stehen müssen, benötigte Partnerunternehmen, die Markteintrittsstrategie, und vieles mehr.
In Phase 5 erfolgt die eigentliche Implementierung. Die notwendige Organisation wird aufgebaut und je nach Geschäftsmodell werden langfristige Verträge geschlossen oder Fabriken gebaut. Zentrale Herausforderungen sind u.a., die Kernidee vor problematischer Einflussnahme bestimmter Gruppen (z.B. interner Konkurrenz) zu schützen und gleichzeitig die Flexibilität zu wahren, das Konzept anhand von neuen Erkenntnissen anpassen zu können. Auch die Begleitung des Veränderungsprozesses in komplexen Organisationen erfordert entsprechende Aufmerksamkeit des Managements.
Phase 6 beginnt mit dem Marktstart des neuen Geschäftsmodells (dies kann auch in mehreren Schritten geschehen). Sobald Feedback vom Markt zur Verfügung steht, sollten Angebot und Geschäftsprozesse kontinuierlich verbessert werden. Nachdem die anfänglichen Defizite des Konzepts korrigiert sind, gewinnt das Screening neuer Marktsignale von Kunden, Wettbewerbern oder anderen wichtigen Stakeholdern an Bedeutung. Bei Bedarf muss das Geschäftsmodell entsprechend angepasst werden, oder gar ein neues Geschäftsmodell eingeführt werden – damit schließt sich dann der Zyklus und eine neue „Business Model Wave“ entsteht.
Alle sechs Phasen sind in der Praxis eng verzahnt und teilweise iterativ. Dass die Realität komplexer ist, als es die Reduzierung auf sechs Phasen suggeriert, bedeutet jedoch nicht, dass ein Unternehmen Geschäftsmodell-Innovationen nicht systematisch durchführen kann. Im Gegenteil, wenn wir Unternehmen bei ihren Innovationsbemühungen begleiten, dann stellen wir sicher, dass „kreatives Chaos“ kanalisiert und Konzepte rigoros validiert bzw. optimiert werden.
Die Einführung eines neuen Geschäftsmodells kann in jeder der sechs Phasen scheitern (auch wenn Fehler in frühen Phasen oft erst viel später zu Tage treten). Der gesamte Prozess ist nur so gut wie sein schwächstes Glied. Deshalb haben wir mit Business Model Waves eine Methodik entwickelt, mit der sich entsprechende Schwachstellen zuverlässig identifizieren lassen.
Viele Faustregeln im Management funktionieren unter normalen Umständen ganz ausgezeichnet, auch wenn wir in der Regel nicht genau wissen, warum das so ist. Fatal wird es allerdings dann, wenn Faustregeln in Situationen angewandt werden, die nicht „normal“ sind. Gleiches gilt natürlich auch für unser Modell. Daher ist etwas Theorie und empirische Forschung hilfreich, um die Grenzen des Modells besser zu verstehen.
Das BM Waves-Modell greift daher nicht nur auf Erfahrungen in der Unternehmenspraxis, sondern auch auf wissenschaftliche Erkenntnisse zurück, die man in dem Buch „Managing Green Business Model Transformations“ nachlesen kann, erschienen 2012 im Springer-Verlag.
Es handelt sich hierbei um die Doktorarbeit von Dr. Axel Sommer, welche die Transformation von Geschäftsmodellen speziell im Hinblick auf ökologische Nachhaltigkeit untersucht. Die Arbeit ist am Centre for Sustainability Management (CSM) von Prof. Stefan Schaltegger der Leuphana Universität Lüneburg entstanden. Enthalten sind neben theoretischen Betrachtungen auch praktische Beispiele von Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle transformiert haben - teils sehr erfolgreich, teils aber auch unter großen Schwierigkeiten.
Das Buch ist z.B. erhältlich bei